Während das EU-Parlament schärfere Klimaziele beschließt und im Klimagesetz 60 Prozent CO2-Reduktion bis 2030 festschreibt, legt das Bundesumweltministerium einen Gesetzentwurf vor, mit dem die Klimaziele 2030 erneut verfehlt werden. Biokraftstoffe werden damit systematisch aus dem deutschen Markt gedrängt; zugunsten der Elektrifizierung.

„Der Sektor Verkehr muss bis zum Jahr 2030 den CO2-Ausstoß im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent verringern“. Das sind die Worte der Bundesumweltministerin Svenja Schulze bei einer Fachkonferenz zur Mobilitätswende der Friedrich-Ebert-Stiftung1. Weiter sagt sie: „In der Vergangenheit sei da viel zu wenig passiert.“ Stimmt. Die Verkehrs-Emissionen sind seit 1990 nicht gesunken, sondern gestiegen.

Seit knapp zwei Jahren blickt die Automobil- und Kraftstoffindustrie gespannt in Richtung Svenja Schulze und wartet auf ihren Vorschlag, WIE die Dekarbonisierung des Verkehrs in Deutschland angegangen werden kann und WANN mit der Reduzierung der Treibhausgasemissionen endlich begonnen wird.

 

 

Nach den vielversprechenden Ankündigungen der Bundesumweltministerin war die Erwartungshaltung groß. Konkret rechnete die Industrie mit einer deutlichen Erhöhung der Treibhausgas-Minderungsquote (THG-Quote) im Zuge der Übertragung der Europäischen Erneuerbaren Energierichtlinie II (RED II) in deutsches Recht.

Und nun zieht der Gesetzentwurf der Ministerin durchs Land – leise, abseits der öffentlichen Wahrnehmung, aber mit fatalen Auswirkungen für den Klimaschutz und für jeden Einzelnen. Er sorgt bei Industrie, Interessenverbänden, aber auch innerhalb der Bundesregierung – insbesondere beim Wirtschafts- und Verkehrsministerium – für Entsetzen.

Wer auf fachliches Einsehen und eine ambitionierte Zielsetzung zur wirksamen Reduzierung der Emissionen gehofft hat, hoffte vergebens. Beim Anteil erneuerbarer Energien im Verkehr bis 2030 will sich Svenja Schulze auf dem europäischen Mindestziel von 14 Prozent ausruhen. Die THG-Quote soll ab 2026 von derzeit 6,0 auf 7,25 Prozent ansteigen. Das heißt: In den kommenden fünf Jahren wird Frau Schulze erst einmal gar nichts unternehmen, bevor es dann im Schneckentempo vorwärts geht. Tatsache ist: Die Treibhausgasemissionen im Verkehr werden bis 2025 sogar wieder ansteigen. Das ist kein Witz.

Schon die aktuelle THG-Quote ist eine Mogelpackung. Genau genommen haben wir heute nicht einmal eine Zielsetzung von 6,0 Prozent weniger Emissionen, sondern von höchstens 4,8 Prozent. In Deutschland werden nämlich Maßnahmen zur Emissionsreduktion, die in Nigeria, dem Oman, China oder Saudi-Arabien bei der Rohölförderung umgesetzt werden, mit 1,2 Prozent auf die THG-Quote angerechnet2 . „Upstream-Emissions-Reduction“ (UER)3 nennt sich dieser Unfug. Die Liste der Länder, in denen UER-Maßnahmen durchgeführt werden, liest sich wie das „Who is Who“ klimapolitischer Schurkenstaaten. Aber was hat eine UER-Maßnahme in Nigeria mit der Treibhausgasminderung im Verkehr in Deutschland zu tun?

Überall in Europa werden ehrliche Anstrengungen zur Dekarbonisierung im Verkehr unternommen. Nur nicht in Deutschland. Die Spitzenreiter sind Schweden und Finnland mit einem Anteil erneuerbarer Energien im Verkehr über 20 Prozent und zwar schon HEUTE.

In meiner 25-jährigen Laufbahn im Biokraftstoffbereich ist es nahezu historisch, dass sogar der Verband der Automobilindustrie (VDA) und der Mineralölwirtschaftsverband (MWV) einen höheren Anteil nachhaltiger Biokraftstoffe zur Erreichung der Klimaschutzziele 2030 fordern als das Bundesumweltministerium.

Wie lange kann sich eine Ministerin der großen Töne und leeren Worte noch halten? Eine Ministerin, die sich in Widersprüche verstrickt. Jeder Manager in der freien Wirtschaft fliegt, wenn er keine Ergebnisse liefert, werte Frau Schulze.

Wer den aktuellen Gesetzentwurf genau gelesen hat, könnte sagen: Moment mal, Herr Sauter, warum regen Sie sich auf? Seien Sie zufrieden, denn fortschrittliche Biokraftstoffe, wie Ihr Biomethan aus Stroh, werden danach doppelt auf die Erfüllung der THG-Quote angerechnet.

Das ist faktisch korrekt, aber auch nur Augenwischerei. Eine derart niedrige THG-Quote von gerade einmal 7,25 Prozent liefert keinerlei Anreize für das Inverkehrbringen zusätzlicher Mengen an fortschrittlichen Biokraftstoffen. Darüber hinaus reduzieren Mehrfachanrechnungen, z. B. für Ladestrom, die THG-Quote unter den genannten Wert. Diese Mehrfachanrechnungen zahlen aber keinen Cent auf den Klimaschutz ein. Das ist nichts anderes als Politikmarketing, um die „Fridays for Future“-Bewegung zu beruhigen und uns alle zu betrügen.

Im Gesetzentwurf heißt es weiterhin: „Der Anteil von Biokraftstoffen aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen soll nicht ansteigen“. Warum diese negative Stigmatisierung nachhaltiger Biokraftstoffe der ersten Generation, die heute den Großteil der Dekarbonisierung im Verkehr ausmachen, Frau Schulze?

Biodiesel und Bioethanol aus einheimischen Rohstoffen sind nachhaltig und klimaschonend. Nur weil Sie es nicht schaffen, im Unterschied zum französischen Präsidenten Emmanuel Macron übrigens, die Einfuhr von Palmöl aus Südostasien für die Biokraftstoffproduktion zu stoppen, dürfen Biokraftstoffe der ersten Generation aus Deutschland nicht vom deutschen Markt verbannt werden!

Die deutsche Landwirtschaft braucht die Biokraftstoffe als Absatzmarkt für die landwirtschaftliche Überproduktion. In den nächsten zehn Jahren laufen die EEG-Förderungen für einen Großteil der 8.500 Biogasanlagen in Deutschland aus, die damit sukzessive heruntergefahren werden. Dadurch fällt ein Absatzpotential für die Anbauprodukte von Millionen Hektar Agrarland weg. Ich bin nicht nur Vorstandsvorsitzender, sondern auch Bauer und kann Ihnen versichern, dass kein Landwirt erleben möchte, dass wieder Agrarflächen stillgelegt werden. Das hatten wir bereits in den 1990er Jahren.

Der neue Gesetzentwurf ist schlichtweg Betrug. Betrug am Klimaschutz. Wenn wir auf alle erlaubten Mehrfachanrechnungen verzichten und weitere Sondereffekte, wie UER, herausrechnen, dann sinkt das tatsächliche CO2-Einsparungsziel weit UNTER die heutige Treibhausgasreduktion! Das ist nicht nur eine Vollbremsung in Sachen Dekarbonisierung des Verkehrs, das ist der Rückwärtsgang beim Klimaschutz!

Die Absichten des Bundesumweltministeriums, das seinen Namen nicht mehr verdient, sind leicht durchschaubar. Jegliche Alternativen zur E-Mobilität werden politisch zurückgefahren.

In der im Oktober 2019 veröffentlichten ersten Bilanz des „Gasdialoges 2030“ heißt es von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier: „Selbst bei einem über den derzeitigen Erwartungen liegenden Erfolg des Markthochlaufs wird der Beitrag der E-Mobilität allein nicht genügen, um die Klimaschutzziele 2030 zu erreichen.“4 Peter Altmaier sieht als „unmittelbar einsatzfähige Optionen“ komprimiertes Erdgas (CNG) und verflüssigtes Erdgas (LNG)“5. Zu Recht, denn CNG und LNG können 100 Prozent erneuerbar aus reststoffbasiertem Biomethan hergestellt werden. Mit 90 Prozent CO2-Einsparung erreichen sie nahezu Klimaneutralität.

Das Bundeswirtschaftsministerium ist mit der Forderung von einer THG-Quote von 19 bis 23 Prozent im „Gasdialog 2030“ auf dem richtigen Weg6. Mit der „Nationalen Wasserstoffstrategie“ hat das Ministerium eine gute Grundlage für neue Investitionen in saubere Energie gelegt. Manche haben zugehört. Und verstanden.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Elektrifizierung im PKW-Bereich ist wichtig und sollte ganz klar weiter vorangetrieben werden. Doch grüner Strom hin oder her: Vergessen Sie bitte nicht, dass in Deutschland rund drei Millionen LKW mit Dieselantrieb7 zugelassen sind, die ca. zwei Drittel des gesamten Dieselverbrauchs verursachen. Für den Güterfernverkehr bietet Elektromobilität in naher Zukunft keine praktikable und wirtschaftlich darstellbare Lösung – weder beim Fahrzeugangebot noch bei der Ladeinfrastruktur.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer hat geliefert und mit erfolgreichen Förderprogrammen sowie mit der Einführung und kürzlich verabschiedeten Verlängerung der Mautbefreiung8 für emissionsarme Elektro- und Gas-LKW mehr grüne PS auf die Straße gebracht. Seine Maßnahmen haben dazu geführt, dass der Anteil an emissionsarmen LKW seit 2019 in Deutschland erheblich gestiegen ist. Mehr als 90 Prozent der geförderten LKW sind CNG- und LNG-LKW, die mit klimaschonendem Biomethan aus Stroh und Reststoffen fahren könnten, würde Svenja Schulze mit ehrgeizigen Zielen die Industrie zu mehr CO2-Reduktion im deutschen Verkehr verpflichten.

Allein mit den seit 2019 neu zugelassenen schweren CNG- und LNG-LKW ließen sich die CO2-Emissionen in Deutschland mit fortschrittlichem BioCNG und BioLNG bis Ende 2020 um eine Million Tonnen reduzieren.

Solch eine verfügbare Handlungsoption durch Technologiebeschränkungen nicht weiter auszubauen, ist grob fahrlässig.

Die verheerende Bilanz beim Klimaschutz im Verkehr spiegelt ganz allein das klimapolitische Versagen der Bundesumweltministerin wider. Ihr neuer Gesetzentwurf ist ein Affront – eine Beleidigung gegenüber den Amtskollegen im Wirtschafts- und Verkehrsministerium und gegenüber der gesamten Industrie.

Die anderen Ressorts, der Bundestag und die Bundesländer sollten den Vorschlag aus dem Bundesumweltministerium ablehnen. Wenn sich die Bundesregierung nicht lächerlich machen will, dann kann die Antwort auf den Gesetzentwurf eigentlich nur lauten:
Thema verfehlt! Setzen! 6!
 

Zur Person:

Claus Sauter
Gründer & Vorstandsvorsitzender VERBIO Vereinigte BioEnergie AG
und BioEnergie-Experte



Nachtrag: Reaktionen aus der Industrie

Die Industrie hat eine nie zuvor dagewesene Meinungsallianz gegen den Gesetzesentwurf aus dem Bundesumweltministerium gebildet. BDIVDA, die Verbände der Erneuerbaren Energien BEE und BBE mit der Biokraftstoffindustrie VDB und BDBe und sogar die Mineralölindustrie mit dem MWV und der Energieversorgung BDEW – sie alle sprechen sich für eine deutlich höhere THG-Quote aus. Studien des Öko-Instituts und von Prognos plädieren ebenfalls für ambitioniertere Klimaziele im Verkehr, denn beide Studien gehen von einer deutlichen Verfehlung der Klimaziele 2030, insbesondere im Verkehrssektor, aus. 


(1) Quelle: Fachkongress der Friedrich-Ebert-Stiftung im Mai 2019 in Berlin
(2) Quelle: Umweltbundesamt Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt), http://www.dehst.de/DE/Klimaschutzprojekte-Seeverkehr/UERV/upstream-emissionsminderungen-node.html 
(3) Upstream-Emissionen sind Treibhausgasemissionen, die entstehen, bevor der Rohstoff in der Raffinerie verarbeitet wird. Seit 2020 können die Emissionen, die durch entsprechende Maßnahmen irgendwo in der Welt verhindert wurden, auf die deutsche THG-Quote angerechnet werden.
(4) Quelle: BMWI, Dialogprozess Gas 2030 – Erste Bilanz, 
https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/C-D/dialogprozess-gas-2030-erste-bilanz.html 
(5) Quelle: ebenda
(6) Die Elektromobilität hat für den Güterfernverkehr auf absehbare Zeit weder beim Fahrzeugangebot noch bei der Ladeinfrastruktur eine praktikable und wirtschaftlich darstellbare Lösung parat.
(7) Quelle:
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/6961/umfrage/anzahl-der-lkw-in-deutschland/
(8) Die EU hat kürzlich Einspruch gegen die Verlängerung der Mautbefreiung erhoben. Statt einer generellen Mautbefreiung für den Gasantrieb – die auch einen Einsatz von fossilem Erdgas zulässt – drängt sie auf eine CO2-abhängige Maut, die den Einsatz von Biokraftstoffen und Biomethan begünstigt.